Dieser Gastartikel liegt mir sehr am Herzen, weil ihn eine mutige, starke und inspirierende Frau geschrieben hat. Viele Menschen sind leider immer noch der Ansicht, dass man nicht mit einer Behinderung Surfen lernen kann! Kerstin sitze im Rollstuhl und erzählt hier ihre Geschichte und zeigt damit auf, dass du immer an deine Träume glauben sollst!

 

Von Zweiflern, Schwarzmalern und anderen Hindernissen oder wie man trotzdem das macht was man liebt!

Ich habe recherchiert und gelernt, dass man einen Blogartikel mit einer schmissigen und prägnanten Überschrift beginnen soll. Naja, zumindest habe ich alles gegeben. 🙂

 

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Mein Name ist Kerstin. Ich bin 38 Jahre alt, lebe in Hamburg, engagiere mich für den Schutz der Meere, mag Kamillentee, alte verstaubte Bücher und eine gute Zeit mit meinen Freunden. Aber am liebsten habe ich meine Ruhe. Und so reise ich gerne alleine durch die Weltgeschichte. Ihr könnt euch sicher denken, dass ich auch irgendetwas mit Surfen zu tun habe.

Vor einiger Zeit erhielt ich eine ganz bezaubernde Nachricht von Bine. Sie sagte, dass sie sich freuen würde wenn ich über meine persönlichen Erfahrungen im Surfen schreibe. Das ich damit andere motivieren könnte, auch damit anzufangen oder sich einfach mehr zuzutrauen. Noch vor ein paar Jahren hätte ich abgelehnt.

 

Was kann man denn schon ausrichten? Man fühlt sich auch nicht bedeutend genug, um andere Menschen mit seiner Geschichte gefangen nehmen zu können. Sowas überlässt man am besten erfolgreichen Surfern, ambitionierten Autoren oder professionellen Motivationstrainern. So dachte ich mal. Bis zu einem besonderen Erlebnis. Davon möchte ich dir kurz erzählen.

 

Reisen mit Behinderung

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Vor einigen Jahren bat mich ein Freund, auf einer öffentlichen Veranstaltung zu sprechen. Das Thema war “Reisen mit Behinderung”. Ich sitze im Rollstuhl und reise gerne. Damit waren dann wohl alle Kriterien erfüllt. 🙂 Nach langem Hin und Her willigte ich ein und sprach zwei Stunden über meine Abenteuer. Darüber was mich antreibt. Aber auch über die Schwierigkeiten. Ich sprach über meine wundervollen Eltern die immer gesagt haben, dass ich vor nichts Angst zu haben brauche. Weder vor meinen Wünschen und Plänen, noch vor dem Scheitern und den Meinungen anderer.

Ich sprach darüber wie ich alleine auf einem Kamel mehrere Tage durch die Westsahara geritten bin und in der Silvesternacht unter dem schönsten Sternenhimmel, den ich je gesehen habe, stand. Wie mir der Rollstuhl mitten in Marokko von einem Taxidach flog, wir es viel zu spät merkten und dann acht Einheimische eine halbe Stunde lang nach ihm suchten. Oder wie man mir im Nahen Osten den Pass vor dem Rückflug wegnahm und mich nicht in die Maschine nach Hause ließ, weil man glaubte, dass ich außerstande sei, alleine zu reisen.

Nach den zwei Stunden verließ ich die Veranstaltung und ging rauf in mein Hotelzimmer. Immer noch skeptisch, ob das jemand wirklich hören wollte. Ein paar Minuten später klopfte es an die Tür. Eine junge Frau, ebenfalls im Rolli, stand vor der Tür. Sie war unter den Zuhörern gewesen. Jetzt sah sie mich schüchtern an und fragte, ob ich kurz Zeit hätte. Ich ließ sie rein. Sie sagte: ”Ich bin noch nie alleine verreist. Meine Freunde und Familie sagen, dass ich das eh nicht kann. Ich möchte aber so gerne. Kannst du mir dabei helfen?”.

Ich kann euch nicht sagen, wie wütend und traurig es mich gemacht hat zu hören, dass man jemandes Träume klein redet und ihn entmutigt. Noch in dieser Nacht planten wir ihren ersten eigenen Urlaub. Jetzt bekomme ich jedes Jahr mindestens eine Postkarte von ihr. Und wisst ihr was das Beste an der Geschichte ist? Mittlerweile ist sie jemand der wiederum andere motiviert, ihre Träume zu verfolgen. Und alles nur, weil man einmal seine Geschichte erzählt hat.

 

Ich will, ich kann und ich werde mit meiner Behinderung Surfen lernen!

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Wenn mir jetzt bloß eine elegante Überleitung zum Thema Surfen einfallen würde 🙂 Tut es leider nicht. Also, ganz platt: Vor ein paar Jahren kam ich irgendwie auf das Thema Surfen und wie cool es doch wäre, dass zu können. Also wurde daraus mein neues „Projekt“.

Aufgewachsen an der Mecklenburger Seenplatte, hatte ich schon immer eine Vorliebe für das Wasser. Jetzt wohne ich in Hamburg. Mit Wellen haben wir es auch hier nicht so. 🙂 Deshalb warf ich Google an und kam schnell auf Begriffe wie “Adaptive surfing” und “accessible beach”. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung davon, wie man als Rollstuhlfahrer surft, aber ich war sicher, dass es irgendwie gehen musste.

Ziemlich schnell stieß ich auf AccesSurf. Eine gemeinnützige Organisation auf O’ahu (Hawai’i) die Menschen mit einem Handicap ans Surfen heran bringt. Ich nahm Kontakt auf, wurde herzlich eingeladen, buchte den Flug und suchte mir eine Unterkunft via Couchsurfing. Das ist jetzt vier Jahre her. Gleich an meinem ersten Abend auf der Insel traf ich Eddie von AccesSurf. Ein echter Local. Wir gingen nach Waikiki. Er zeigte mir die Statue von Duke Kahanamoku und erzählte mir von ihm. Dann griff er zwei Longboards. Fünf Minuten später paddelte ich mit ihm das erste Mal raus. Zehn Minuten später surfte ich meine erste Welle bäuchlings, am Brett festgekrallt in den schönsten vorstellbaren Sonnenuntergang.

Während ich das schreibe und mir dieses Gefühl wieder ins Gedächtnis rufe bekomme ich glasige Augen. Seit dieser ersten Welle ist mein Leben nicht mehr wie es war. Und das mag noch so pathetisch und übertrieben klingen. So ist es. Nach 90 Minuten paddelten wir zurück an den Strand und ich heulte los. Vor Freude. Eddie sah das und heulte gleich mit. 🙂 Versucht euch vorzustellen, was das bedeutet. Du sitzt Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr im Rolli. Natürlich kannst du heutzutage alles machen was du willst. Du kannst Rollstuhlbasketball oder Rollstuhltischtennis spielen. Du kannst im Rollstuhl tanzen oder im Rollstuhl Badminton spielen. Her je, mein Kumpel Lonnie (querschnittsgelähmt) ist sogar BASE Jumper.

Aber du machst es eben immer mit dem Rolli zusammen. Menschen nehmen ihn wahr und das beeinflusst oft ihr Verhalten. Auf einmal verlässt du den Rolli, paddelst raus, sitzt im Line Up und wartest mit den Anderen auf eine Welle. Dann drehst du dich um und siehst weit entfernt am Strand den leeren Rolli stehen. Ich weiß noch wie ein junger Mann zu mir rüber paddelte, mich grüßte und fragte, ob ich den Rolli gesehen hätte und wüsste, wem der gehört. Nach 34 Jahren habe ich eine Leidenschaft entdeckt die ich ohne dieses Hilfsmittel ausüben kann.

Das ist etwas ganz Besonderes.

 

Es gibt leider viele Stolpersteine, wenn du mit einer Behinderung Surfen lernen willst!

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Aber es ist oft nicht leicht. Wenn ich surfen gehe muss ich viel improvisieren. Und die Liste von Umständen, Hindernissen und Menschen die mir sagen, dass irgendwas nicht geht ist schier unendlich.

Nur ein paar wenige Beispiele:

  • Wenn ich verreise kann ich nicht einfach ein Fahrrad, Moped oder Auto mieten. Das bedeutet, dass ich von A nach B mit irgendeinem Bus fahren oder auch mal 20 km durch die Pampa spazieren muss.
  • Ein Brett mitzunehmen war bis vor kurzem unmöglich, weil ich meine beiden Hände immer zum Anschieben des Rollis brauchte.
  • So gut wie alle Surfcamps sind nicht barrierefrei. Geschweige denn die Strände. Oft rutsche ich eine halbe Stunde auf meinem Hintern inkl. Brett über den Sand oder die Steine bis ich ans Wasser komme.
  • Manchmal werde ich von Rettungsschwimmern als Einzige nicht ins Wasser gelassen, weil sie meinen, dass ich hilflos bin und sie nicht die Verantwortung für mich übernehmen wollen.

Die Suche nach Surfschulen in Deutschland habe ich quasi aufgegeben. Das lag an verschiedenen sehr schlechten Erfahrungen. Eine möchte ich besonders herausstellen. Sie war letztlich der Grund, weshalb ich nur noch alleine und auf eigene Faust auf Tour gehe. Nach einigen Fernreisen und vielen Stunden auf dem Wasser wollte ich die heimischen Gefilde ein wenig erkunden. Ich schrieb dazu nacheinander mehrere Surfschulen an. Da ich ganz anders surfe und mittlerweile gute durchschnittliche Skills hatte wollte ich keine herkömmlichen Kurse buchen, sondern nur Equipment leihen. Eine Option die fast durchweg von Schulen angeboten wird. Auch von dieser besagten.

Ich schrieb also eine E-Mail in der ich kurz umschrieb wer ich bin und was ich möchte. Da ich weiß, dass Leute wegen des Rollis oft sehr vorsichtig sind schrieb ich dazu, dass ich eine sehr gute Schwimmerin sei und auch Erfahrung in verschiedenen Gewässern gesammelt habe. Es folgte eine wirklich beispiellose Antwort des Inhabers. Man fragte mich allen Ernstes, ob mir bewusst sei, dass man im Wasser surft. Im Meer. Mit Wellen. Ein Sport bei dem man superflinke Reflexe, Mut und Kraft bräuchte. Das wäre eher ein Extrem- als ein Behindertensport. Außerdem hätte er nicht die Mittel, extra Leute einzustellen, die mich betreuen. Am Ende der E-Mail zeigte er sich großherzig und lud mich dennoch ein. Ich könne mich an den Strand stellen, um „echte“ Surfer und Wellen zu beobachten.

 

Mach dein Leben zu dem schönsten und buntesten Ort den du dir vorstellen kannst!

Die meiste Zeit möchte ich laut schreien vor Wut, weil man mich wie ein Kindergartenkind behandelt und bevormundet. Aber da ist diese intensive Liebe zum Wasser, zum Surfen, zur Natur und das Wissen, dass das alles ist was zählt. Es überlagert am Ende alle negativen Gedanken und miesen Erfahrungen. Man braucht keine Kleingeister, keinen bescheuerten propagierten Lifestyle, keine teuren Surfklamotten oder Marken die dir einreden wollen, dass du nur unter diesen und jenen Bedingungen ein guter und glücklicher Surfer sein kannst.

Phil Edwards hat mal gesagt:

The best surfer out there is the one having the most fun.

Damit ist alles gesagt. Eigentlich.

Denn es gibt nun mal Ängste, Scham, Konventionen und Skeptiker. Und ich kenne niemanden der nicht zu irgendeiner Zeit mal mit Hindernissen zu kämpfen hatte. Das geht euch vielleicht auch so. Bin ich zu alt, um mit dem Surfen anzufangen? Vielleicht schäme ich mich, weil ich nicht die Figur habe, wie die Ladies in den Hochglanz-Surfblättchen. Oder es ist mir unangenehm, dass meine Taler nur für No-name-shorts und ein altes schraddeliges Brett reichen.

Vielleicht sagen dir auch deine Freunde (und die Gesellschaft sowieso) das du länger und härter arbeiten solltest, anstatt deine Zeit auf Surftrips und mit Abenteuern zu „verschwenden“. Oder vielleicht entdeckst du gerade erst deine Leidenschaft fürs Surfen und warst bisher eher die unsportliche Couchkartoffel und jetzt belächeln dich alle für diese Idee. Ich weiß nicht, vor welchen Schwierigkeiten du, die das hier gerade liest, gestanden hast.

Was dich davon abhielt oder abhält, deinen Traum wahr zu machen. Ich kann nur sagen, dass es jede Mühe wert ist und man manchmal auch einfach machen muss. In den letzten vier Jahren habe ich viel gelernt und Stück für Stück herausgefunden, wie ich meine Leidenschaft am besten ausleben kann. Ich surfe gerne alleine und in abgeschiedenen Gebieten. Um so kälter, um so besser.

Die Liebe zu Island ist groß. Dorthin kehre ich immer gerne zurück. Letztes Jahr habe ich mir einen alten Bus gekauft. Und seit meiner letzten Hawai’i Reise habe ich nun auch einen Surfbretthalter für meinen Rolli. Damit war es endlich an der Zeit für ein eigenes Board.

Um ehrlich zu sein, haben mich die vielen Erfahrungen eher zu einem Surf-Einzelgänger gemacht. Aber ich treffe auch immer mal wieder ganz besondere Menschen mit denen ich einfach nur lachen und surfen kann. Wo die Wellenlänge passt. Die von wertvollen Wegbegleitern zu Freunden werden und mir viel bedeuten.

In einigen Tagen packe ich meinen Bus und beginne meine Baltic Sea Circle eine Abenteuer Rallye um die Ostsee. Dänemark, Schweden, Lofoten, Lappland, Russland, Baltikum und zurück ins schöne Hamburg. Das hatte ich mir vor drei vier Jahren noch nicht vorstellen können. Manchmal braucht es ein wenig Zeit und ein paar Nerven, aber am Ende hat die Liebe zu einer Sache gewonnen.

Hier kannst du mich auf meiner Reise begleiten: Instagram und Website.

 

Mit einer Behinderung Surfen lernen ist kein Ding der Unmöglichkeit! Erzähl mir gerne in den Kommentaren deine Geschichte und Erfahrungen zu dem Thema Surfen mit Handicap.

 

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15 Responses

    • Kerstin

      Hi Flo! Dankeschön. 🙂 Von dem Projekt habe ich schon mal gehört. Das finde ich richtig klasse. Sei ganz lieb gegrüßt!

      Antworten
  1. Benny

    Hallo Kerstin,
    sehr schöner Artikel. Hat mir sehr gefallen!
    Liebe Grüße von einem adaptive surfer

    Antworten
  2. Michelle

    Wow!
    Dein Bericht hat mich echt weggeflasht. Welche Kraft in den Aritkel steckt. Sich nichts vorschreiben zu lassen egal ob mit oder ohne handicap ist extrem wichtig! Und du hast das komplett durchgezogen. Wie gut man sich vorstellen kann was für ein überwältigendes Gefühl auf dem Brett gewesen sein muss. Für mich als Anfänger ist das schon immer ein tolles Gefühl aber für dich muss das noch viel überwältigender sein.

    Auf jeden Fall weiter so und vielleicht sehen wir uns zusammen mal auf einer Welle.

    Liebe Grüße aus Portugal

    Michelle

    Antworten
    • Kerstin

      Tausend Dank, liebe Michelle! 🙂 Ich freue mich total, dass dir der Artikel so gefallen hat.

      Portugal…schön. Genieß die Zeit!!!

      Kerstin

      Antworten
  3. Von Zweiflern, Schwarzmalern und anderen Hindernissen oder wie man trotzdem das macht was man liebt! – krossek

    […] die Lady hinter dem Surfblog sea you soon. Sie sagte, dass sie sich freuen würde wenn ich einen Gastartikel über meine persönlichen Erfahrungen im Surfen schreibe. Das ich damit andere motivieren könnte, […]

    Antworten
  4. Ralph

    Hallo Sabine,
    Kerstins Bericht hat mich tief beindruckt und gleichzeitig aufgrund der negativen Erfahrung mit der Surfschule aber auch schwer getroffen!
    Heute morgen habe ich per Zufall die Authentique – Ecole de surf in Frankreich gefunden, die mit einem speziell umgebauten Surfboard sogenannte “Handisurf Kurse” für Behinderte lt. HP anbietet. Da ich mich beim Lesen sofort an Kerstin erinnert habe, dachte ich mir, dass ich den Namen hier mal fallen lasse, da es für mich die erste Surfschule ist, die Surfkurse für Behinderte anbietet.

    P.S.
    Ich kenne diese Schule nicht, stehe in keiner Beziehung zu ihr und kann nichts zur Qualität sagen. Deshalb nenne ich auch nur den Namen. Vielleicht weiß eine deine Leserinnen mehr dazu als Google auspuckt.

    LG aus HH
    Ralph, der auch als Mann gerne bei dir liest!

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  5. Svenja

    Hallo Kerstin,
    ich finde es super stark und toll dass Du das machst woran Du glaubst und Dich nicht durch andere Meinungen davon abbringen lässt das zu machen was Du wirklich willst. Der Artikel von Dir ist sehr ermutigend! Danke dafür.
    Viele Grüße, Svenja

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  6. Stef

    Kerstin, Du PowerFrau! Ich habe Pipi in den Augen und werde bei jeder Welle an Dich denken! Voller Respekt! Du bist ein mentales Vorbild für mich und hast sehr schön in Worte gefasst, welche Erlebnisse und Emotionen Dich begleiten. Vielen Dank dafür, dass Du Deine Geschichte mit mir teilst. Ab sofort folge ich Dir auf Instagram. Stay strong, Stef

    Antworten
    • Kerstin

      Hey Stef! Tausend Dank für deinen tollen Kommentar. 🙂 Mich berührt diese Resonanz total. Wir sehen uns auf Instagram und im Line-Up irgendwo auf dieser Welt! 🙂

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